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Jeder Radfahrer ist ein Auto weniger im Stau....

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Pannenflicken 2021/2022 aus Expertensicht

Bernd Sluka (Fachjuror, u.a. Vorsitzender VCD Bayern, Fachausschuss Technik des ADFC)
- meine Bewertung mit Kommentaren

 

Platz 1: Wuppertal

Platz 2: Flughafentunnel Stuttgart

Platz 3: Wendlingen-Köngen

Der Trampelpfad gebührt Büdingen, da ein wenig herausragender als Duisburg und unfallgefährlicher.

Das "Radverkehrsghetto Duisburg" hat den Baustellen Sonderpreis abermals(?) verdient.

 

Ausführliche Bewertung:

Es ist schade, dass der Pannenflicken eingestellt werden muss, hoffentlich nur vorläufig. Denn ich habe ihn als eine der wenigen effektiven Methoden erlebt, um den desolaten, gefährdenden und oft rechtswidrigen Zustand der Radverkehrsinfrastruktur zu verbessern. Dies ist sonst nur in mühsamer Arbeit für jeden einzelnen Fall oder gar durch aufwändige und teure Klagen vor den Verwaltungsgerichten möglich. Und es erfordert solide Rechtskenntnisse. Durch den Pannenflicken wurden viele Fehlbeschilderungen entfernt und Gefahrstellen beseitigt. Und das Thema "Radwege sind keine sicheren Wege" gelangte in die Medien. Das macht Hoffnung. Das ist angesichts der diesjährigen Preisträger, die nur einen Ausschnitt aus dem überall vorhandenen Wahnsinn zeigen, nötiger denn je.

Zunächst mal: Preise verdient haben sie alle. Wirklich einzigartig ist aber keine der Bewerbungen. Sie zeigen vielmehr Beispiele für den alltäglichen Unsinn, den man in ganz Deutschland beim Umgang mit Radfahrenden antrifft. Aber ich soll ja eine persönliche Reihung vornehmen. Also versuche ich es diesmal mit einem Punktesystem (1 bis 5 Punkte auf Originalität, Unfallgefahr und Ignoranz der Behörden).

 

Flughafentunnel Stuttgart

Ein selbst für Fußgänger eigentlich unbenutzbarer, aber für das Radfahren freigegebener Gehweg in einem Tunnel und natürlich ein Fahrbahnverbot, insoweit nichts Einmaliges in Deutschland. Ich kenne mindestens zwei weitere Beispiele. Statt eine sinnvolle Lösung zu finden, wählen die Straßenverkehrsbehörden die einfachste Lösung und sperren Radfahrende faktisch aus.

Ständig besteht das Risiko, mit dem Lenker an den Wänden hängen zu bleiben und zu stürzen. Vielleicht kann man aber auch nicht umfallen, weil es dafür zu eng ist. Man fragt sich unwillkürlich, wie viele ungemeldete Unfälle es dort schon gab und wie viele es noch geben muss. Wenigstens ist die Wand gekachelt, so dass Blut leicht wieder abgeht. Eine schlecht beschriebene und verwirrende Verkehrsführung kommt dazu, ist aber doch nichts Neues für Radfahrer. Wer auf Radwegen fährt, muss in Deutschland leider oft mit so etwas zurecht kommen.

Kurzum: Das Verkehrsverbot auf der Fahrbahn muss weg. Vernünftige Lösungsvorschläge sind vorhanden. Eine ignorante Verkehrsbehörde und das in einem Land, wo die obersten Straßenverkehrsbehörde einer Partei unterstellt ist, die sich den Ausbau des Radverkehrs auf die Fahnen geschrieben hat. Was sagt das Ministerium eigentlich dazu?

Originalität: **

Unfallgefahr: ****

Ignoranz:     ****

 

Wuppertal

Nicht schon wieder! Wuppertal hat doch erst den Pannenflicken 2021 gewonnen. Und jetzt folgt ein weiteres, offenbar neues Beispiel für eine gefährdene Verkehrsführung. Dazu kommen Fehler der Beschilderung und Nichtumsetzung der Verwaltungsvorschrift. Lernen die Verwaltungsangestellten gar nichts oder sind Lokalpolitiker dafür verantworlich? Bei denen würde ich es verstehen, denn sie paaren häufig Entscheidungsbefugnis mit Unwissen.

Die Lösung wäre, einfach stehen zu bleiben, wenn ein Busfahrer drängelt. Würden das einige machen, würde sich auch etwas ändern. Doch das werden sich die wenigsten trauen. Und auch mit dem Fahrrad möchte man irgendwann ankommen und hat nicht den halben Tag Zeit. Aber was sagen eigentlich Staatswanwaltschaft und der Fahrdienstleiter der Busgesellschaft zu den beschriebenen Straftaten der Busfahrer wie Nötigung und den fortgesetzten Ordnungswidrigkeiten?

Trotzdem: Gar nicht geht, schon wieder Gefahrstellen zu schaffen, bei denen die Radfahrer auf der Straße die Konflikte austragen müssen. Daher ist die Wuppertaler Verkehrsbehörde eindeutig mein persönlicher Sieger dieses Wettbewerbs im Sachen Ignoranz gegenüber Radfahrern.

Originalität: ***

Unfallgefahr: **

Ignoranz:     *****

 

Wendlingen-Köngen

Linksseitig benutzungspflichtige Radweg-Stücke ohne vorgeschriebene gesicherte Querungen gibt es überall, obwohl die Verwaltungsvorschrift zur StVO verbietet, sie einzurichten. Wegen eines Radweg-Stummels, der nach der nächsten Einmündung schon nicht benutzungspflichtig ist, sollte und muss man nicht an einer ungesicherten Stelle nach links wechseln. Er ist unzumutbar, weil die Gefahr durch den Seitenwechsel die Pseudo-Sicherheit auf zwanzig Meter linksseitigem Radweg bei Weitem überwiegt.

Also immer schön auf der Fahrbahn bleiben!

Schlechte Sichtbeziehungen und fehlende Furtmarkierungen gibt es jedoch überall. Die hier beschriebenen Situationen treten dagegen nicht besonders hervor. Aber 5 Unfälle mit Radfahrerbeteiligung in den Jahren 2018 bis 2020 auf diesem kurzen Abschnitt zeigen, dass die beschriebenen Gefahren real sind.

Originalität: *

Unfallgefahr: *****

Ignoranz:     ***

 

Duisburg (Baustelle)

Fehlerhafte Beschilderung, verwirrende Verkehrsführung in Baustelle, große Umwege für Radfahrer, schlechte Wegweisung, typisch für Duisburg, aber auch viele andere Kommunen in Deutschland. Gerade am Wochenende habe ich wieder eine fehlerhaft beschilderte Baustelle, bei der nicht einmal das veraltete Regelwerk RSA-95 eingehalten wurde, der zuständigen Verkehrsbehörde auf die Schreibtische geworfen.

Dagegen hilft offensichtlich auch nicht die Mitgliedschaft Duisburgs in der AGFS (Arbeitsgemeinschaft fußgänger- und fahrradfreundlicher Städte, Gemeinden und Kreise in NRW). Diese steht wie so oft nur auf dem Papier der Sonntagsreden von Politikern, weil sie im Alltag nicht umgesetzt wird. Sonst hätten die Verkehrsbehörden die Kriterien, zu deren Einhaltung Duisburg sich verpflichtet hat, und hier vor allem die Leitlinien der AGFS für die Führung im Baustellenbereich eingehalten.

 

Originalität: **

Unfallgefahr: **

Ignoranz:     ***

 

Büdingen (Trampelpfad)

Ein schönes Beispiel für einen Trampelpfad, der ohne Sinn und Zweck als benutzungspflichtiger Radweg beschildert wurde. Ich hätte auch noch einen (bei Vohburg), den ich längst für den Pannenflicken einreichen wollte. Als Büdingener Besonderheit ist das regelwidrig niedrige Geländer neben dem Weg auf den Bildern 1 und 2 zu erwähnen. Doch gefährliche Radwege neben schlecht einsehbaren Grundstückszufahrten sind leider nichts Besonderes. Hier sei beispielsweide der extrem befahrere Donauradweg in der Ortsdurchfahrt von Erlau genannt.

Die Zeichen 240 in neuerer Ausführung zeigen, dass sich die Straßenverkehrsbehörde wenigstens einmal mit dem Weg beschäftigt hat, aber trotzdem an der sinnlosen Benutzungspflicht festgehalten hat. Ein Minuspunkt für Ignoranz.

Vernünftige Radfahrer können den Weg spätestens an der in Bild 3 gezeigten Stelle verlassen, denn dort endet mangels befahrbarer Breite die Benutzungspflicht. In Gegenrichtung endet die faktische Benutzungspflicht bereits nach der Einmündung Am Kälberberg, da danach das Blauschild nicht wiederholt wird.

Die Unfallgefahr hat sich wohl mangels Verkehrsaufkommen kaum realisiert, denn amtlich registrierte Unfälle gibt es nur einen mit einem Leichverletzen im Bereich der unübersichtlichen Grundstückszufahrten. Kaum Verkehr und nur ein Einmündungsunfall, der höchstwahrscheinlich im Zusammanhang mit dem Radweg steht, spricht aber erst recht dafür, dass die Benutzungspflicht hier unzulässig angeordnet wurde.

Originalität: *

Unfallgefahr: **

Ignoranz:     ****

 

Duisburg 2 (Trampelpfad)

Zu schmale, umgepflegte Radwege, bei denen "vergessen" wurde, die rechtswidrige Benutzungspflicht aufzuheben, sind gefährlicher Alltag. Würde jemand ernsthaft gegen die Benutzungspflicht vorgehen, wäre dieses Beispiel schnell Geschichte. Warum macht das niemand?

Typisch ist nur der Umgang der Straßenverkehrsbehörde und der Straßenbaubehörde in der Stadt Duisburg, die Radfahrer nicht zur Kenntnis nehmen. Dabei ist Duisburg Mitglied der Arbeitsgemeinschaft fahrradfreundlicher Städte NRW (AGFS). Was macht eigentlich diese Vereinigung, damit ihre Mitglieder dem Namen gerecht werden?

Originalität: *

Unfallgefahr: *

Ignoranz:     ***

 

Köngen

Ein Unfall in 2016, zwei in 2020, alle genau an der beschriebenen Einmündung der Christian-Eisele-Straße oder besser wohl "Mc Aldi"-Ausfahrt. Glücklicherweise gab es bei allen drei Unfällen nur Leichtverletzte. Das war vor einigen Jahren in Plattling an der Aldi-Ausfahrt mit Zweirichtungsradweg und ausreichenden Sichtbeziehungen anders: Radfahrer schwer verletzt. Und 20 km weiter in Künzing wurde eine durch Werbeschilder verdeckte ältere Radfahrerin tot gefahren. Die Werbeschilder stehen dort immer noch. Dafür bekamen die Radfahrer Wartepflicht mit Zeichen 205.

Was ich damit sagen will: Die beschriebenen Gefahren sind real und schwerwiegend. Innerörtliche Radwege gehören nicht über die Ausfahrten von Supermärkten, Discountern, Fresstempeln oder Tankstellen. Erst recht verbieten sich dort Zweirichtungsradwege mit ihrer besonders erhöhten Gefahrenlage, aber auch Einrichtungsradwege werden bekanntlich illegal linksseitig befahren. Dass hier keine Benutzungspflicht vorhanden ist, ändert daran nichts. Ob es alleine genügt, die vorgeschriebenen Sichtweiten herzustellen, bezweifle ich. Aber es wäre ein unbedingt notwendiger Schritt. Besser wäre es, Angebote zu schaffen, die Radfahrer von diesem Weg herunter auf die Fahrbahn holen.

Originalität: *

Unfallgefahr: ****

Ignoranz:     **

 

Frickenhausen/Tischardt

Schutzstreifen und Gehwege mit "Radfahrer frei" sind nicht benutzungspflichtig, genauso wenig wie das gefährliche Stück auf dem Bordstein am westlichen Ortsende. Aber natürlich können die Bodenmalereien Radfahrer zu riskanten Fahrvorgängen verleiten. Die Mindestkurvenradien wurden nicht beachtet und die Mittelinseln sind untauglich für Radverkehr (zu kurz in Fahrtrichtung, um darauf warten zu können). Da sollte mal jemand mit echter Planungskompetenz rangehen. Radfahrer auf Feldwege zu leiten, die einfach auf belebte Bundesstraßen führen, geht natürlich gar nicht.

Originalität: **

Unfallgefahr: *

Ignoranz:     **

 

Hannoversch-Münden

Keine offiziell gemeldeten Unfälle in den Jahren 2018 bis 2020. Nur gegenüber, wo sich laut Openstreetmap auch ein Radweg befinden soll, kam es an der Einmündung Huntestieg 2018 zu einem Unfall mit Leichtverletztem. Vielleicht fuhr da jemand linksseitig auf der gegenüberliegenden Seite, weil rechtsseitig auf dem zugewucherten Streifchen geht ja nicht. Doch sinnvoll, wäre, die Straßenverkehrsbehörde mit der Beseitigung der illegal angeordneten Benutzungspflicht zu nerven, denn das wäre ein leichtes Spiel. Warum ist das nicht längst geschehen? Wird der Radweg als schlechtes Beispiel für die Ausbildung in der nahegelegenen Poizeiakademie gebraucht? Man wird ja nochmal hoffen dürfen.

Der Vorschlag, Radfahrstreifen anzulegen ist sinnvoll. Ein "Gehweg mit Radfahrer frei" ist jedoch wegen der Breite, nein Schmäle, ebenso wenig zulässig wie der beschilderte benutzungspflichtige Geh- und Radweg.

Originalität: **

Unfallgefahr: *

Ignoranz:     ***

 

Biedenkopf

Einbahnstraßen für Radfahrer zu sperren ist seit 1998 verboten (§ 45 Absatz 9 Satz 3 StVO). Allerspätestens mit der Novelle der Verwaltungsvorschrift im November 2021 ist aber die Zwierichtungsbefahrbarkeit ausdrücklich der Regelfall und hier umzusetzen. Als Beispiel für viele andere Kommunen, die diese Regel missachten, ist der Beitrag tauglich. Preistauglich wird er aber genau wegen dieser Beliebigkeit nicht.

Originalität: *

Unfallgefahr: *

Ignoranz:     ****

Anmerkung zu den Beschreibungen: Fahrräder sind grundsätzlich auf der Fahrbahn zu schieben. Der linksseitige Gehweg erscheint zu schmal, um ausschließen zu können, dass dabei Fußgänger behindert werden, zumal er durch einen Parkstreifen eingeengt wird. Ebenso ist der rechte Gehweg zu schmal. § 25 Absatz 2 Satz 1 StVO verbietet daher, dort ein Fahrrad zu schieben.

 

Klaus Wörle (Fachjuror, u.a. Vorsitzender ADFC)
- mein Kurzkommentar aus dem Ausland zum Flughafentunnel Stuttgart
Es ist völlig unverständlich, dass im Rahmen der Umweltverträglichkeitsprüfung, das für jedes große Bauprojekt im Verkehrssektor durchgeführt wird, nicht geprüft werden muss, welche Verbesserungen im Rahmen des Baus für jeweils umweltverträglichere Verkehrsarten möglich sind, um diese dann auch verpflichtend zu realisieren. 
Der Flughafentunnel in Stuttgart ist ein Paradebeispiel (aber leider bei weitem nicht das einzige), bei dem ausschließlich mit Blick auf den Autoverkehr gedacht, geplant und gebaut wird. Eine Vorgehensweise, die wie aus der Zeit gefallen wirkt.
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Linkhinweise

Argumentationshilfen

Straßenverkehrsrecht erklärt:
 
Radverkehr:
 
Charity:
 
Klima und Umwelt:

 

Wolfgangs (radverkehrspolitische) Videos

Radwege im April 2021 - plus Sandbaustelle

Radweg Ende

Teddy fährt Lastenrad

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Teddy im Fahrradanhänger

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(warum eine Radwegbenutzungspflicht Unsinn ist)

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